«It’s all wonderfully gripping», alles sei wunderbar und packend, schwärmte der Kritiker der «Financial Times». «Volker Bruch hat die schmerzerfülltesten, expressivsten Augen, die Sie dieses Jahr zu sehen bekommen», und mit Charlotte, «tagsüber das triste Leben als Sekretärin, nachts ein Jazz Baby, betreten wir das jugendliche Berlin der Tanzwut und geradezu verzweifelter Exzesse». Esme Nicholson im «National Public Radio» formulierte die Headline: «Germany's ‹Babylon Berlin› Crime Series Is Like ‹Cabaret› On Cocaine.» James Delingpole warnte in «The Spectator» die Zuschauer: «‹Babylon Berlin› is so brilliant I'd advise you not to start watching it. This TV masterpiece about Weimar Germany will eat up 16 hours of your life.»
Dem New Yorker Magazin «Vulture» gab Tom Tykwer ein Interview. Die wichtigste Frage war die nach der politischen Relevanz, den Bezügen zum aktuellen Geschehen. Kann man 2018 mit 1929 vergleichen? Tykwer: «Ja, und die Parallelen sind zu offensichtlich, als dass man sie übersehen könnte, also muss man sie angehen. Mit dem Aufkommen neuer Parteien, die einen großen Einfluss auf die Politik haben, bildet sich das deutsche Parteiensystem gerade um, eigentlich in ganz Europa. Und diese Parteien stehen überwiegend weit rechts. Das war damals genauso. Das plötzliche Auftauchen einer starken rechten Partei ist genau das, was der Gesellschaft in unserer Serie widerfährt. Ziemlich lange wurden die Nazis von der Mehrheit der Gesellschaft ignoriert. Sie hatten keinen Einfluss, keine Wähler. 1929 hatten sie nur 1,8 Prozent. Natürlich kann man geschichtliche Entwicklungen nicht grob vereinfachen und so tun, als gälte diese Analogie auf allen wichtigen Ebenen. Wir leben jetzt seit über 60 Jahren in einer sehr stabilen Demokratie. Damals war – nach dem verlorenen Krieg, nach dem Ende der Monarchie – eher eine Art Experiment im das politischen System Deutschlands.»
«Babylon Berlin« verknüpft den Kriminalfall mit Intrigen, die weitreichende politische Folgen haben, u. a. der sog. «Schwarzen Reichswehr». Die Serie zeigt, wie die Demokratie langsam erodiert.
Aber es sei keine Geschichtsstunde, betont Tykwer. «Wir liefern den Zuschauern unsere Sicht auf die Entwicklungen. Zum Beispiel, am 1. Mai 1929 – diesem wahnsinnigen Schanddatum in der Geschichte der deutschen Demokratie – gab es diese große Demonstration in Berlin, die Kommunisten haben eine Ausgangssperre ignoriert und wurden von der Polizei regelrecht von der Straße geschossen auf Befehl eines sozialdemokratischen Polizeichefs. Die liberale Linke hat die extreme Linke dermaßen hart angegriffen! Letzten Endes hat die extreme Rechte davon profitiert. Es war einfach tragisch, wie die linken Kräfte sich so lange gegenseitig bekämpft haben, dass sie darüber vergessen haben, sich vor ihren wahren Feinden in Acht zu nehmen.»
«Babylon Berlin» ist ein komplexes, düsteres, bisweilen verstörendes Historiendrama, das von Verbrechen, Sex und Politik in den späten 20er Jahren in Berlin handelt. Tykwer und seine Co-Regisseure Achim von Borries und Hendrik Handloegten erzählen die Geschichte des Kommissars Gereon Rath, der in einem politischen Erpressungsfall in der Berliner Pornoszene ermittelt und eine Verschwörung aufdeckt, die die junge deutsche Republik zerstören will. Dazwischen präsentiert «Babylon Berlin» eine geradezu magische Welt aus Tanzclubs, Flapper Girls, Gewalt und dunklen Schatten in der ansonsten pulsierenden Großstadt.
«Auf jedem kulturellen Gebiet war Experimentierfreude der Zeitgeist», sagt Tykwer. «Ich glaube, dass alles, was später im 20. Jahrhundert in Sachen Kultur kam, damals irgendwie schon vorhanden war – und das ist etwas, das wir mit dieser Szene, mit unserer Serie ausdrücken wollten. Besonders, wenn man bedenkt, wie furchtbar die Vorstellung ist, dass all dieses kulturelle Ausprobieren, diese Energie zu erfinden und zu erforschen, niemals ausreifen konnte, weil es so schnell danach schon wieder erstickt wurde.»
Einer der vielen Höhepunkte der Serie ist die Tanzszene im «Moka Efti». Den Schuppen gab es damals wirklich, doch erinnert die Szene irgendwie auch an die heutige Clubkultur in der Hauptstadt. Auch in Amerika hat man inzwischen vom «Berghain» gehört. Hat sich Tykwer davon inspirieren lassen? «Oh ja, ich würde sagen, ich weiß, was los ist. Und die Clubs, die ich liebe, haben eine klare Sprache, eine klare Vorstellung, einen kulturellen Code. Der 20er-Jahre-Club aus Babylon Berlin, in dem Swetlana ihr Lied auf der Bühne singt, ist vermutlich eine Mischung aus meinen Lieblingsclubs, Kater Blau, Berghain und Heideglühen. Das wichtigste ist dieser Freiheitsgeist, die Vorstellung, dass Frauen und Männer ohne vordefinierte Rollen zusammengekommen sind, anders als in der Außenwelt. Das ist eine andere Art, sich zu treffen und in Kontakt zu kommen. Und auch diese Vorstellung war Ende der 20er so fortschrittlich. Es ging darum, sich von Geschlechtszuweisungen zu befreien. Vor allem in Berlin, mehr noch als in Paris. In Berlin gab es Orte für jedes besondere Interesse, für jede sexuelle Lust und Vorliebe. Es gab schon vor 90 Jahren eine LGBT-Gemeinschaft. All das ist natürlich untergegangen. Im Grunde musste es über ein halbes Jahrhundert später wieder neu aufgebaut werden. Ich schätze, in Berlin und an ein paar wenigen anderen Orten waren sie damals schon ziemlich nah dran an dem, wo wir heute stehen.»
«Babylon Berlin» war bei der Premiere im Pay-TV ein voller Erfolg: Mit weit über eine Million Zuschauer war es für Sky der zweitbeste Serienstart nach «Game of Thrones». Die ARD wird «Babylon Berlin» im Herbst ausstrahlen. Das Kreativ-Trio Tywer/Borries/Handloegten arbeitet derzeit bereits an den Drehbüchern der nächsten Staffel.
Übersetzung des Interviews: Andrea Kirchhartz